Krieg in der Ukraine

• Chemische Industrie zählt zu den größten Verbrauchern von Gas
• Ausstieg aus russischem Gas- und Ölgeschäften kann zu Engpässen führen
• Lieferketten sind zusätzlich unter Druck

Positiver Trend zu verzeichnen

• Die ersten beiden Monate 2022 brachten eine Steigerung der Produktion

Nachhaltigkeitsthemen weiterhin im Gespräch

• Modelle der Kreislaufwirtschaft gewinnen an Attraktivität
• Es gilt Ressourcen möglichst schonend und effizient einzusetzen
• Preissteigerungen bei fossilen Waren können so abgefedert werden

Branchendefinition: Die Branche umfasst die Abteilung 20 der ÖNACE 2008 und damit die Verarbeitung organischer und anorganischer Rohstoffe in einem chemischen Verfahren zu chemischen Erzeugnissen. Hierbei wird unterschieden zwischen der Herstellung von

• chemischen Grundstoffen, Düngemitteln und Stickstoffverbindungen, Kunststoffen in Primärformen (z.B. Polymere, Silikone) und synthetischem Kautschuk in Primärformen
• Schädlingsbekämpfungs-, Pflanzenschutz- und Desinfektionsmitteln
• Anstrichmitteln, Druckfarben
• Seifen, Wasch-, Reinigungs- und Körperpflegemitteln
• sonstigen chemischen Erzeugnissen und Chemiefasern

Im Jahr 2020 boten die 460 Hersteller von chemischen Erzeugnissen fast 19.500 Personen einen Arbeitsplatz, wovon rund 19.200 unselbstständig beschäftigt waren. Die durchschnittliche Unternehmensgröße lag damit bei etwa 42 Mitarbeiter*innen je Unternehmen. Die Betriebe erwirtschafteten insgesamt Umsatzerlöse in der Höhe von rd. € 12,57 Mrd.
 

Trends

• Die globale Produktion der chemischen Industrie ist 2021 im Vergleich zu 2020 um 9,8 % gestiegen. Im Jänner und Februar 2022 stieg die Produktion im Vergleich zu den ersten beiden Monaten des Vorjahres um insgesamt 7,2 % (VCI World Chemistry Report, April 2022).
• Die Preise für Energie sind derzeit sehr volatil. Zeitweise stiegen die Preise um rd. 90 % um dann wieder zu fallen (VCI, 2022).
• Russland ist für viele Unternehmen als Lieferant weggefallen. Es ist ein Trend hin zu einer Diversifizierung der Energielieferungen wahrzunehmen, mit derzeit jedoch ungewissen Ausgang.
• Rd. 64 % der europäischen Produktion sind Zwischenprodukte, die von der Chemieindustrie und anderen Wirtschaftszweigen als Rohmaterialien verwendet werden (CEFIC, 2019).
• Der Schwerpunkt der österreichischen Chemieindustrie liegt im Bereich der Kunststoffwaren (35,7 %). Weitere Produktgruppen sind u. a. die Pharmazeutika (15,1 %), Chemikalien (12,7 %) und Kunststoffe in Primärformen (11,8 %) (FCIO, 2020).
• Die österreichische Chemiebranche weist eine starke Exportorientierung auf, 73 % der Produktion geht ins Ausland (FCIO, Mai 2022).
• Auf Grund der hygienischen Eigenschaften von Kunststoff wird ein wesentlicher Anteil der Rohkunststoffe zu Verpackungsmaterial verarbeitet. Dieses wird vor allem in der Lebensmittelindustrie wegen der steigenden Nachfrage nach Convenienceprodukten verwendet.
  • Nach den Vorgaben des Kreislaufwirtschaftspakets der EU müssen bis 2025 die Hälfte aller Kunststoffverpackungen recycelt werden.
  • Laut einem Experten sollte man die Umweltverträglichkeit aber nicht nur an der Recyclingfähigkeit festmachen. Auch ein Wechsel von festen Verpackungen zu flexiblen Verpackungen oder Re-Oil-Maßnahmen, bei denen Kunststoff zu Öl verarbeitet wird, mindern den ökologischen Fußabdruck.
• Chemical Leasing ist ein Geschäftsmodell, in welchem anstelle des Verkaufes einer Chemikalie nur deren Funktion (als Dienstleistung) angeboten wird. Dies soll zu einer effizienteren Nutzung von Chemikalien beitragen.

Green New Deal/Kreislaufwirtschaft

• Der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft in der EU will im Bereich der Kunststoffe an der Kunststoffstrategie von 2018 anknüpfen und unter anderem den Anteil an recycelten Material erhöhen, indem verbindliche Anforderungen an den Rezyklatanteil vorgeschlagen werden. Weiters befasst sich der Aktionsplan mit dem absichtlichen Zusatz von Mikroplastik bzw. dessen unbeabsichtigter Freisetzung.
  • Mit der Einführung der DIN SPEC 91446 wird ein einheitlicher Standard für die Klassifizierung von Kunststoffrezyklaten gesetzt. Die Standardisierung soll helfen den Kunststoffabfall zu vermindern und die Wiederaufbereitung zu gleich- oder höherwertigeren Produkten erleichtern.
  • Die EU legte im Rahmen der Umsetzung des Green New Deals neue Grenzwerte für die Chemikalien Perfluoroctansäure (PFOA), Dicofol und Pentachlorphenol in Abfällen fest. Abfälle, die persistente organische Schadstoffe (POP) enthalten, müssen möglichst umweltgerecht entsorgt werden.
  • Zusätzlich setzt sich die EU für ein rechtsverbindliches weltweites Übereinkommen zu Kunststoffen ein und möchte dadurch einen kreislauforientierten Ansatz für den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen erreichen.
• Mögliche Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf Umweltvorhaben, wie eine Verschiebung von Fristen oder Einführungen zu einem späteren Zeitpunkt, bleiben abzuwarten.

Coronavirus

• Mitte des Jahres 2020 wurde auf Grund der globalen Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ein wirtschaftlicher Tiefpunkt erreicht. Die Erholung und ihre Auswirkung auf die Preise verliefen geographisch unterschiedlich schnell. Mit der erhöhten Zugänglichkeit zu Impfstoffen wird sich die Nachfrage laut Experten weiter erholen. Die Vorhersehbarkeit bleibt in der Branche jedoch volatil.
• Durch die Covid-19-Pandemie wurden bereits bestehende Trends beschleunigt:
  • Eine Stärkung von europäischen und lokalen Lieferketten und Produktionsstätten bei gleichzeitiger Reduzierung von globalen Lieferketten wird aus strategischen Gründen (Resilienz von Lieferketten) sowie auf Grund des Green Deals diskutiert und teilweise auch schon umgesetzt, wie verschiedene Befragungen zeigen.
  • Der generelle Trend geht in Richtung Energieeffizienz und Dekarbonisierung. Der dadurch erhöhte Fokus auf Wasserstoff, Gewichtsreduzierung und Elektrifizierung von Autos und Kreislaufwirtschaft/Recycling eröffnen zusätzliche Möglichkeiten für Chemieunternehmen. Andererseits steigert diese Entwicklung die Geschäftskosten erheblich.

Mitbewerb

• Üblicherweise gelten Handelskonflikte, Protektionismus, Wechselkursschwankungen und volatile Energiekosten als wichtigste makroökonomische Einflussfaktoren. Neben den notwendigen Transformationsprozessen hinsichtlich Ressourcen und Materialen, Dekarbonisierung, erneuerbare Energien und Vermeidung von Abfällen, spielt der Krieg in der Ukraine und seine Folgen derzeit wohl die wichtigste Rolle. Durch den Ausstieg vieler Unternehmen aus dem russischen Geschäft, möglichen Gas- und Ölengpässen, sind die weltweiten Lieferketten noch mehr unter Druck.
• Expertinnen und Experten zufolge lohnt sich die Umstellung auf ein Modell der Kreislaufwirtschaft nicht nur wegen den äußeren Faktoren wie staatliche Strafen bzw. Subventionen und auf Nachhaltigkeit fixierte Investoren und Investorinnen, sondern auch wegen betriebswirtschaftlicher Aspekte, wie die weiterhin zunehmende Preissteigerung bei fossilen Neuwaren. Schlussendlich soll damit die Ressourcenproduktivität der ganzen Branche erhöht werden.
  • Neue Tracking-Verfahren zur Identifikation von Kunststoffen erleichtern das chemische (wie auch das mechanische) Recycling. 
  • In Ergänzung zum Batterierecycling von Elektrofahrzeugen: eine internationale, branchenübergreifende Kooperation von Chemieunternehmen, Ressourcenlieferanten und Energieunternehmen arbeitet an der Wiederverwendbarkeit von Altbatterien.
• Zukünftige Geschäftsmodelle in der Spezialchemie müssen ein breites Dienstleistungsspektrum anbieten, das auf digitalen Prozessen aufbaut (Maschinelles Lernen, AI) und sich am Endkunden orientiert (Bsp. Smart Farming „AgTech“).
  • Laut Experten werden auch Verkaufsplattformen in der chemischen Industrie immer relevanter (Österreichische Chemie Zeitschrift, 2/2021).
• Die Wachstumszentren liegen anders als noch vor ein paar Jahren in den aufstrebenden Schwellenländern, unter anderem wegen der dort geringeren Energie- und Rohstoffkosten. Um den Europäischen Markt zu schützen, plant die Europäische Kommission einen Grenzausgleichsmechanismus, der 2023 in Kraft treten soll.
• Viele Unternehmen sind von ihrem Geschäft in oder mit Russland zurückgetreten. Ein Ausstieg aus dem Markt kann sich jedoch zu einer langwierigen Angelegenheit entwickeln.

Lieferanten

• Energieintensive Branchen, wie z. B. die PVC-Erzeugung, leiden besonders unter den derzeitigen Umständen. Vermehrt gibt es diesbezüglich Meldungen über Drosselungen und Force-Majeur-Fällen. (kunststoffweb.de)
• Auf Grund mehrerer Faktoren führen derzeit weltweite Engpässe zu einer Knappheit bestimmter Rohstoffe. Auch internationale Logistikprobleme verlangsamen Warenströme.
• Recycling-Unternehmen werden zu Rohstofflieferanten.
  • Wesentliche Herausforderung ist, das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Qualität zu liefern.

Gas/Öl

• Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf das heimische Gas und Öl
  • Die Chemische Industrie zählt zu den größten Verbrauchern von Gas. 2020 lag der Verbrauch bei 5,1 Terrawattstunden. Generell verbraucht die Industrie 40 % des österreichischen Erdgaseses (industriemagazin.at, 2022)
  • Die Preise für Rohstoffe stiegen schon auf Grund der Corona-Pandemie. Der Krieg in der Ukraine hat weitere Steigerungen zur Folge. Auch der Druck auf Lieferketten wurde durch den Krieg weiter erhöht.
  • Dies hat zur Folge, dass der Gaspreis im Großhandel weiter steigt. Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) gibt eine Steigerung im Vergleich zu April 2021 von 465,7 % an (Austrian Energy Agency, 2022).
  • Die Debatte für die im Juli 2022 in Kraft tretende CO2-Bepreisung erhielt neuen Diskussionsstoff, die wahrscheinlich in eine Verschiebung münden wird.
  • Ebenso sollte ein Entwurf zum Erdgasbevorratungsgesetz bis Mai vorgelegt werden, der Unternehmen gewisse Speicherstände vorschreiben soll.
  • Ein Branchenvertreter fordert die rasche Auffüllung der Gasspeicher und eine Diversifizierung der Lieferanten.
  • Auf EU-Ebene wurde ein Teil-Embargo von russischem Öl beschlossen sowie eine gemeinsame Plattform zur Beschaffung von Erdgas, LNG und Wasserstoff eingerichtet.

• AI/Machine Learning: gewinnen in der Chemie in Bezug auf Automatisierung der industriellen Prozesse, bessere Prognosen, etc. immer mehr an Bedeutung.
• Rohstoffliches (bzw. chemisches) Recycling: Die chemische Struktur der Makromoleküle wird in niedermolekulare Produkte (Monomere oder hochwertige Öle und Flüssiggas) zerlegt, die als Ersatz für fossile Brennstoffe oder als Grundlage für neue Kunststoffprodukte dienen.
  • Durch chemisches Recycling (z. B. durch Solvolyse, Pyrolyse, Hydrierung, Vergasung) kann auch aus minderwertigen Abfällen und Reststoffen Pyrolyseöl und -gas gewonnen werden.
• Batterie Recycling: wird bei weiterhin steigender Elektromobilität am Gesamtverkehr immer wichtiger.
  • Auf Europäischer Ebene gründete die Europäische Batterie-Allianz – bestehend aus der EU-Kommission, Mitgliedstaaten, der EZB, der Industrie und sonstigen Stakeholdern – eine Europäische Batterieakademie, um Fortschritte bei der Entwicklung der Batterie-Wertschöpfungskette zu erörtern und die Herausforderungen für das weitere Vorgehen zu thematisieren.
• Einem Team der Universität für Bodenkultur ist es gelungen Cellulose-Nanofibrillen zu isolieren, ohne die Oberfläche der Fasern zu verändern. Diese Fibrillen können nun zur Herstellung sehr starker Supermaterialen verwendet werden.
• Ein neuartiger chemischer Wärmespeicher wurde an der TU Wien erfunden und patentiert. Eine verlustfreie Speicherung von Energie ist mithilfe eines chemischen Reaktors monatelang möglich.